Vernunft mag begrenzt sein, aber unbegrenzt sind nur Fantasie und Dummheit. Wähle weise.
Inhaltsverzeichnis:

      Wo verläuft die Grenze der Vernunft?
      1. Die tatsächliche  Grenze der Vernunft
      2. Die Beschränkung des Vernunftgebrauchs im Dienst des Glaubens
      3. Die Beschränktheit des menschlichen Vernunftgebrauchs

 

Wo verläuft die Grenze der Vernunft?

Es sind in erster Linie monotheistische (christliche, islamische) Theologen, Esoteriker (Astrologen, Radiästhesiologen, ...), Obskurantisten (UFOlogen, Spiritisten, ...) und die Anhänger politischer Religionen (Faschismus, Holocaust-Leugner, ...) die gerne die »Grenzen der menschlichen Vernunft« (herauf-)beschwören. Der Hauptgrund ist natürlich der, dass die Vernunft gegen  ihre Weltbildspekulationen spricht. Man muss, wenn man von dieser ominösen Grenze redet, drei verschiedene Varianten betrachten:

 

1. Die tatsächliche  Grenze der Vernunft

Selbstverständlich hat die Vernunft _1_ Ihre Grenzen. Eine davon habe ich hier beschrieben: Das Münchhausen-Trilemma. Eine zweite Grenze ist die, dass es in der Vernunft stets darum geht, Probleme zu lösen. Wenn kein Problem vorhanden ist, also keine Differenz zwischen dem, was ist, und dem, was unserer Meinung nach sein sollte, dann hat die Vernunft da auch nichts zu suchen.

Im anderen Falle ist, per Definition, die Rationalität die jeweils beste Problemlösung. Vernünftig sein heißt, bei der Wahl einer Alternative, mit der man ein Problem _2_ zu lösen sucht, diejenige zu nehmen, die das Problem besser löst -- gemessen an den eigenen Zielen -- als die anderen Möglichkeiten, unter Berücksichtigung von begrenzten Ressourcen (Zeit, Geld etc.) und den Folgen der Lösung. Dabei sollten alle berücksichtigt werden, die von dem Problem betroffen sind.

Warum sollte uns jemand dazu verleiten wollen, dass wir uns mit einer schlechteren Lösung für ein Problem begnügen? Ganz einfach: Der Andere will uns betrügen oder möchte uns dazu veranlassen, eine Alternative zu wählen, die seine eigenen, egoistischen Ziele (oder die seiner Partei/Gruppe) begünstigt. Die mildere Alternative: Der andere ist so tief in seinen Irrtümern gefangen, dass er bei der Bewertung der verschiedenen Lösungen versagt. Oder der andere ist schlicht irrational, macht also Fehler bei der Anwendung rationaler Methoden.

Unsere Vernunft wird begrenzt durch unser Wissen : Wenn uns Informationen fehlen, dann können die Entscheidungen, die wir treffen, fehlerhaft sein.

Die wirklichen Grenzen der Vernunft werden beispielsweise in [Albert 1982] und [Albert 1991] behandelt und beleuchtet.

 

2. Die Beschränkung des Vernunftgebrauchs im Dienst des Glaubens

So nannte Hans Albert das Vorgehen der Theologen, etwa in [Albert 1973b], [Albert 2005] und [Albert 2008]. Hierbei geht es darum, die Vernunft so einzuschränken, dass die eigenen theologischen Spekulationen nicht mehr unvernünftig erscheinen – was sie natürlich sind. Man zieht der Vernunft willkürlich eine Grenze. Damit beugt man zugleich der Kritik vor, so dass man hier auch von einer Immunisierung gegen Kritik  reden muss. Siehe auch [Albert 2000] oder [Niemann 2008].

Die Rationalität wird dabei dem Glauben untergeordnet. Deutlich wird das beispielsweise in [Ratzinger 2007]: Dort wird erst die historisch-kritische Methode beschrieben und gelobt, um Bibelexegese zu betreiben, weil diese auf durchaus vernünftigen Prinzipien beruht. Aber dann werden alle deren Ergebnisse pauschal verworfen, weil die Resultate dem Herrn Ratzinger nicht in den Kram passen. Vergleichbar damit, dass ein Kaufmann seinen Gewinn sorgfältig nach den Regeln der Rechenkunst - also vernünftig  berechnet - aber dann am Ende doch eine höhere Zahl nimmt, weil er glaubt, mehr verdient zu haben und die Zahlen ihm nicht zu seinen Wünschen passen!

 

3. Die Beschränktheit des menschlichen Vernunftgebrauchs

Eine weitere »Grenze der Vernunft«, wenn man so will, entsteht dadurch, dass wir Fehler bei der Benutzung unseres Verstands begehen. Über diese Denkfehler wird noch ausführlich zu reden sein (ab hier: Psychologie: Kognitive Fehler, Denkfehler und Denkfallen). Eine fehlerhafte Anwendung der Vernunft heißt aber, nicht vernünftig zu sein. Es ist ein bisschen so, als wenn Sebastian Vettel versucht, ein Rennen zu gewinnen, in dem er auf sein Auto verzichtet. Dann kann er seinem Auto auch nicht die Schuld geben, dass er nicht gewonnen hat.

Aber das wird oft verwechselt: Der falsche Gebrauch der Vernunft hat zu einer falschen Entscheidung geführt, und Schuld hat die Vernunft! Das kann man auch beobachten, wenn Theologen der Vernunft die Schuld etwa am Holocaust in die Schuhe schieben wollen, um andere dazu zu verleiten, zu ihren Gunsten den Vernunftgebrauch zu beschränken. Es war aber die totale Irrationalität der deutschen Faschisten, die zum Holocaust geführt hat, nicht die Vernunft. Die streckenweise beschränkte Anwendung der Vernunft macht nicht das ganze Unterfangen vernünftig, sondern es bleibt insgesamt irrational.

Die Irrationalität hat nicht umsonst einen schlechten Ruf, weil sie immensen Schaden anrichtet und Menschenleben kostet. Bei den Unfällen, die auf »menschliches Versagen« zurückgeführt werden, müsste man eigentlich immer dazu sagen: Ursache war eine Beschränkung im Vernunftgebrauch  oder eben Irrationalität. Ob Tschernobyl oder Fukushima oder den 2. Weltkrieg oder den Holocaust: Das alles sind Monumente und Denkmale der Unvernunft. Wer also die Irrationalität propagiert, kann nicht  unser Freund sein.

Die Bekämpfung von Irrationalität heißt immer: Abwendung von Schaden für die Gemeinschaft und auch für sich selbst. Die Propagierung von Unvernunft im Rahmen der Theologie heißt immer: teilweise Aufgabe der eigenen Interessen zugunsten der egoistischen Ziele anderer. Mit dem Verkauf von angeblich vorhandenen Plätzen im Jenseits lässt sich im Diesseits komfortabel leben.

Die Entscheidung zur Vernunft ist eine der wichtigsten Entscheidungen, die man im Leben treffen kann. Und hier zeigt sich eine tatsächliche Grenze der Vernunft: Man kann zwar Menschen zum Glauben indoktrinieren und zwingen, man kann aber niemanden dazu zwingen, seinen Verstand richtig zu gebrauchen! Wer - etwa aufgrund theologischer oder anderer obskurantistischer Versuche - sich zu einer Beschränkung des Vernunftgebrauchs hat drängen lassen, den kann man mit vernünftigen Argumenten auch nicht von der Vernunft überzeugen. Weil dies die Akzeptanz der Ratio voraussetzt, die man erst erzielen möchte. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.

Keine Begeisterung sollte größer sein als die nüchterne Leidenschaft zur praktischen Vernunft.

Helmut Schmidt

1. Synonym für Vernunft: Rationalität. Zurück zu 1

2. Ein Problem ist der Unterschied zwischen dem IST-Zustand und dem SOLL-Zustand. Zurück zu 2


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