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Unglaubenszweifel

Von Claudia

Glaubenszweifel sind etwas, was nahezu jeden Christen begleitet - mal weniger, mal mehr, in unregelmäßigen Abständen. Man fühlt, dass mit dem eigenen Weltbild irgendwas nicht stimmt, weiß aber nicht so genau, was es ist. Man plagt sich mit Widersprüchen, Ungereimtheiten, vermisst Konsistenz und Verlässlichkeit der eigenen Basis. In geschlossenen Weltbildern finden sich überall Ecken und Kanten, die so etwas immer mal wieder herausfordern.

Was ist mit Atheisten? Haben die nie Zweifel an ihrem Weltbild? Beschäftigt uns nie die Frage, ob es denn alles so stimmt, wie es für uns Wahrheit ist? Kommt nie die Frage auf: was ist, wenn es doch stimmt?

Ich vermute, dass es vielen Atheisten nicht anders geht als mir. Die Frage, was denn sei, wenn es doch wahr ist, wird sofort gefolgt von der Frage: was denn genau? Was genau stimmt denn doch, welcher Gott, welche Wahrheit aus dem breiten Angebot der vielen absoluten Wahrheiten bringt denn mein logisch stimmiges Weltbild ins Wanken? Ist es vielleicht der Buddhismus? Was wäre, wenn der wahr wäre - würde ich dann tatsächlich wiedergeboren? Der Gedanke daran ist verlockend - es gäbe dem Leben einen ganz anderen Sinn - aber welche Hinweise habe ich, dass das wirklich wahr ist? Sind es mehr Hinweise als die, die ich im Christentum für das ewige Leben nach dem Tode finde?

Oder ist alles, was gelehrt und auf was gehofft wird, nur innerhalb dieses Weltbildes wahr? Und wenn ja, welchen Einfluss kann es dann auf mich haben? Wieso sollte ich mich für Weltbild A oder B entscheiden? Dürfen meine Wünsche entscheiden - möchte ich lieber wiedergeboren werden oder doch lieber bei Gott ewig leben?

Alle diese Fragen müssen geklärt werden, bevor ich mein Weltbild in ernsthaft Frage stelle. Was würde mich mehr ansprechen? Am Ende stehe ich dann vor dem (immer vorläufigen) Ergebnis: Ich kann nur nach meinen Wünschen entscheiden, und meine Wünsche beeinflussen leider nicht die Realität.

Insofern müsste ich bei jedem Wahrheitsangebot schauen, ob dort dieselben logischen Kanten drin sind wie in anderen geschlossenen - auch atheistischen - Weltbildern. Und finde ich Widersprüche, finde ich Hinweise, dass meine Wünsche nur dann wahr werden, wenn ich dieses Weltbild als Ganzes annehme - dann kann ich es ehrlicherweise nur ablehnen - denn von meinen Wünschen wird sich die Realität leider nicht beeinflussen lassen - jedenfalls nicht so fundamental.

Was ist mit dem Christengott? Überall um mich herum haben Menschen eine Wahrheit akzeptiert, die ich nach wie vor für mich ablehne. Zweifel, dass es doch einen liebenden Gott geben könnte, habe ich eigentlich nie gehabt - vor allem nicht, als meine Großmutter an Krebs erkrankte ... bis sie starb, habe ich sie leiden sehen ... mir wurde klar, dass es einen Gott der Liebe für mich nicht geben konnte - schon gar nicht, als sie starb. Wo sollte sie lieber sein wollen als bei uns - gerade bei ihrem kleinen Urenkel, den sie mehr liebte als alles auf der Welt? Jedes Mal, wenn wir sie besuchen waren, saß sie während seines Mittagsschlafes an seinem Bett und hat ihn zwei Stunden einfach nur angesehen. Mann, hat sie dieses Kind geliebt! Niemand, der sie wirklich liebte, konnte ihr das nehmen.

Zudem ist es für mich jedes Mal klar, wenn ich die Nachrichten einschaltete. Rein vernunftsmäßig kann es für mich diesen Gott nicht geben. Der Widerspruch, der sich aus Leid und Liebe auf dieser Welt ergibt, kann nicht gelöst werden - und der steht für mich felsenfest vor jedem möglichen Zugang zu einem Gott. Auch kann ich diese Frage nicht aufschieben - ungeklärte Fragen sind keine Basis für Vertrauen - weder zu einem Gott noch zu einem Menschen.

Was aber ist mit allen diesen Leuten, die trotz dieser Widersprüche an Gott glauben? Sind die jetzt alle verrückt? Einer Illusion erlegen? Wie erkläre ich mir die ungeheure Kraft, den Mut, den Lebenssinn, den so viele Leute aus dem Glauben ziehen? MUSS da nicht einfach was dran sein?

Und wieder die Frage: Gibt es einen Zusammenhang zwischen den konkreten Inhalten der Wahrheiten (Jesus, Gott, Allah, Krishna, positives Karma ...) und dem, was die Leute tun? Je länger ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr komme ich zu dem Schluss: Es ist nicht der Inhalt dessen, an was man glaubt, es ist die Tatsache, dass man einen Inhalt hat, einen Halt, Menschen, die einen darin unterstützen, dass man dazu gehört, sich im Glauben und in der Gemeinschaft wohl fühlt und durch Rituale und Gemeinschaft immer wieder genau darin bestätigt wird.

Dann sehe ich es also rein vom Nutzen her - Glaube (egal welcher) gibt vielen Leuten Kraft - auch wenn er inhaltlich falsch und eigentlich unhaltbar ist? Wie gehe ich denn mit diesem Widerspruch um? Darf ich es akzeptieren, dass es so viele Leute gibt, die aus Unwahrheiten und unbewiesenen Behauptungen Kraft beziehen?

Ich trug mich lange mit dem Gedanken, möglichst viele Christen vom Glauben abzubringen. Es MUSS ihnen doch einfach was bringen, DIE Erkenntnis, DIE Erleichterung, DEN Vernunftszuwachs! So steckte ich viel Kraft in Missionierung zur anderen Seite. Ich habe eine Menge Leute in Glaubenskrisen gestürzt, einige haben sich deswegen von mir abgewendet. Das tut mir heute unendlich Leid. Ich habe Leute traurig gemacht, habe ihre Basis in Frage gestellt, wollte sie um jeden Preis von meiner Wahrheit überzeugen - war für mich doch klar: Unglaube löst die Probleme, die der Glauben schafft, und noch viel mehr. Und mir geht es ja auch gut dabei.

Auf diesem meinem Weg der Auseinandersetzung sind mir viele Leute begegnet - Christen und Atheisten, und es gab einige Schlüsselerlebnisse, die mich letztendlich zu meiner heutigen Haltung bewegt haben ...

Zum einen habe ich mit vielen Christen mehr gemeinsam als mit vielen Atheisten. Die Lebensart, das Lebensgefühl, die Gefühlstiefe, die Freundlichkeit, die Liebe zu Kindern und die hohe Wertschätzung von Freundschaften, das bewusster Leben, das Zurückstellen von Materiellem, alles zusammen ... ich denke heute, dass es für uns alle sehr hilfreich ist, wenn man immer wieder an die wirklich wichtigen Dinge des Lebens erinnert wird ... und ich denke schon, dass uns Atheisten die Gemeinschaft auf der Basis eines gemeinsamen Lebensgefühls fehlt.

Ich habe viele Christen näher kennen gelernt und einige sind mir zu wertvollen Freunden geworden - auch wenn wir kaum über den Glauben sprechen. Ich habe Leute erlebt, die sich bewusst von Glauben und Kirche abgewendet haben und Leute, die damit nie etwas zu tun hatten. Für viele war es das Loslösen von Autoritäten und Vorschriften, die sie in ihrem Leben sehr eingeengt hatten. Von daher ist es verständlich und richtig, den Glauben kritisch zu hinterfragen und auch aufzugeben, wenn die Contras die Pros überwiegen.

Und auch hier habe ich einiges an ziemlich unschönen Haltungen erlebt: eine radikale Abkehr vom Glauben, welche nicht nur den Glauben und die Fehler der Kirche, sondern auch die positiven Aspekte des Glaubens und der Gemeinschaft negieren und den Glauben am liebsten abschaffen würden. Viele Leute, die sich sehr stark über ihren Unglauben definieren, fallen dann in ein anderes Extrem: Glaube sei in jedem Fall schlecht, und wer ihn verliert, der findet in jedem Fall zur Vernunft. Das gelte für alle, und weil der Atheismus wahr ist, müsse das auch für alle gut und richtig sein. Religiöses Denken auf atheistisch.

DAS sollte also auch die schillernde Alternative zum Glauben sein? Es nagt nach wie vor in mir ... was ist mit meiner Wahrheit los? Die meisten meiner Freunde und meine ganze Familie sind ungläubig, und wenn ich eine Person als Ideal vor Augen habe, dann war es meine ungläubige Großmutter ... die mir und meinem Kind so viel Liebe entgegen brachte ... und heute ziehe ich am meisten den Hut vor meinem Mann, der trotz seiner nervenaufreibenden Arbeit immer Zeit für uns hat und uns liebevoll behandelt, und vor meiner Schwiegermutter, die ihr Leben lang für ihre Familie lebt und heute, wo ihre drei Kinder aus dem Haus sind, immer ein offenes Ohr für jeden hat und neben ihrer Arbeit ihre 91jährige Mutter zu Hause pflegt - kaum schläft ... und sich trotzdem niemals beklagt. Das sind auch Atheisten.

Wohin also jetzt mit dieser meiner atheistischen Wahrheit, kann ich also vom einzig wahren Weltbild sprechen? Lande ich nicht in einem Relativismus, wenn ich sage, dass jeder seine Wahrheit hat und haben sollte? Dass das Christentum für manche genauso wahr sein kann wie der Atheismus?

Heute denke ich, nicht das Weltbild ist entscheidend, sondern das, was derjenige daraus macht. Ein George Bush, der gegen das Böse und mit Gottes Segen in den Krieg zieht, ist genauso verachtenswürdig wie ideologische Christenverfolger.

Natürlich ist meiner Meinung nach wie vor der Atheismus wahr, aber eben nicht das einzig richtige Weltbild für jeden. Wir haben doch genug Baustellen, um den Glauben zu kritisieren, uns damit auseinander zu setzen, die Ecken und Kanten abzuschleifen und die Extreme, ohne gleich alles pauschal zu verdammen.

Wer den Glauben verliert, weil die Zweifel zu stark werden, wer zu der Erkenntnis kommt, dass es einen liebenden Gott einfach nicht geben kann - ist für den gleichzeitig die Gemeinschaft gestorben oder das Prinzip der Nächstenliebe? Warum wird dann der Einzelne so wichtig und die Gemeinschaft mit Leuten, die man sich nicht alle selbst ausgesucht hat, zur Zumutung? Warum ist der Austausch zwischen den Weltbildern so stark von der Betonung der Unterschiede geprägt und so wenig von der Suche nach Gemeinsamkeiten und Kompromissen?

In einer Gesellschaft, wo es glücklicherweise keinen Zwang zu einem bestimmten Weltbild gibt, sind wir auf Kompromisse angewiesen. Die Kompromissbereitschaft fördern wir aber nicht, indem wir immer wieder die Unterschiede betonen und uns gegenseitig die Schuld für die Übel der Welt zuweisen. Glaube gegen Wissenschaft, Vernunft gegen Unvernunft, Wahrheit gegen Lüge - verhärtete Fronten helfen nicht weiter.

Wir leben doch alle auf dieser Erde, und sitzen alle im selben Boot - nur eben nicht auf derselben Seite - und das ist verdammt gut so.

Warum aber finde ich dann diese Seite hier gut? Warum unterstütze ich es, wenn der Glaube logisch auseinander genommen und auf eine brillante Art und Weise in Zweifel gezogen wird?

Wer mal nach der Auseinandersetzung mit Glaubenszweifeln gesucht hat, wird diese vielfältig finden - nur habe ich keine gefunden, die nicht darauf ausgerichtet ist, dem Zweifelnden die Freiheit zu lassen, den Glauben auch abzulegen. Glaubenszweifel sind für die meisten dieser Schriften nur zu einem gut - den Glauben zu festigen. Das kann meiner Meinung nach nicht die einzige Lösung sein - man muss jedem auch die Option offen halten, sich vom Glauben zu lösen - wenn er sich in einer logischen Aufarbeitung der Widersprüche besser wiederfindet als in der emotional doch sehr ansprechenden Kirche. Daher finde ich es gut und sehr wichtig, dass diese Möglichkeit für alle besteht - mit offenem Ausgang.

Wichtig ist nur wieder, was man zwischenmenschlich mit der jeweiligen Erkenntnis macht, zu der man dann kommt. Die Erkenntnis, das Denken der Menschen ist wichtig für die Motivation der Handlungen - aber für alle außer einem selbst sind es die Handlungen, die zählen.

Wie auch immer die Glaubenszweifel am Ende aussehen - in einen gefestigten Glauben münden oder zum Atheisten kommen - am Ende steht man doch immer wieder als Mensch da.