»Eine heilige Schrift wörtlich zu nehmen hat bisher immer zu Katastrophen geführt.«


Inhaltsverzeichnis:


      Sind Gläubige leichtgläubig?
      Die WEG-Basis
      Ein Beispiel
      Was heißt hier »Beweise«?
      Konversion und Korruption
      Schlussfolgerung

 

Sind Gläubige leichtgläubig?

Aus dem vorher Gesagten könnte man jetzt die Auffassung entnehmen, dass ich die Gläubigen für leichtgläubig  halte. Denn sie akzeptieren Behauptungen als wahr, die sowohl sehr unwahrscheinlich sind, als auch sehr weit von unserer Erfahrung entfernt sind. Trotzdem basiert die Annahme des Glaubens auf demselben Prinzip wie meine Ablehnung des Glaubens. Wie kann das sein?

Nur mal kurz, was ich unter Leichtgläubigkeit  verstehe. Zum einen kann man keinen Trennstrich ziehen und sagen: Das ist Gläubigkeit, und exakt ab da beginnt die Leichtgläubigkeit. Beides geht ineinander über. Genauso wenig kann man Alltagsglauben und Wissen voneinander trennen, weil beides ineinander übergeht. Es hat eben alles verschiedene Grade der Sicherheit und erreicht so gut wie nie 100%. Und von vielem Wissen können wir diesen Grad an Sicherheit nicht einmal angeben.

 

Die WEG-Basis

Wir haben eine Wissens- und emotionale Glaubensbasis. Glauben im Sinne von vermuten, für wahr halten, alles mit geringerem Grad an Sicherheit als beim Wissen. Von dieser aus müssen wir die Welt beurteilen. Wir können nicht von dem ausgehen, was wir nicht wissen, und von dem wir teilweise nicht einmal wissen, dass wir es nicht wissen. Wir können aus dem, was wir nicht wissen, auch keine Grundlage beziehen. Glaubt man trotzdem, dass das geht, dann ist der erste Schritt in die Leichtgläubigkeit bereits getan – man korrumpiert seine eigene Basis, was den Stand erschwert. Außerdem besteht unser Wissen nicht nur aus Daten, Fakten und Verknüpfungen, sondern wird wesentlich durch emotionale Bewertungen bestimmt. Dinge, die emotional hoch bewertet werden, brauchen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, um akzeptiert zu werden und umgekehrt. Man muss also von einer Wissens- und Emotionalen Glaubensbasis sprechen, kurz WEG-Basis.

 

Ein Beispiel

Das zuvor erwähnte Beispiel möchte ich hier nicht wiederholen.

Sie erinnern sich hoffentlich noch an das Beispiel mit dem leerstehenden Haus von den Seiten zuvor?

 

Was heißt hier »Beweise«?

Was bedeutet »überzeugender Beweis«? Das selbst ist wiederum ein subjektives Kriterium. Aber wir halten im allgemeinen Dinge eher für wahr, wenn sie mit unserem (bisherigen) Wissen/Emotionen/Glauben übereinstimmen, als wenn sie dem völlig widersprechen. Das erklärt, warum ein Christ nicht einfach noch zusätzlich an Shiva glauben kann, denn dies widerspricht fundamental einem Teil seiner Glaubensbasis. Einem Christen müsste man schon ganz schön harte Fakten und überzeugende Argumente bieten, damit er an Shiva glaubt. Vermutlich wäre ein Christ in dieser Hinsicht genauso schwer zu überzeugen wie ein harter Atheist, vielleicht sogar eher noch schwerer. Widerspruch kann auch emotionaler Art sein, meist ist es eine Mischung.

Was Shiva angeht, ist also kaum ein Christ als leichtgläubig zu bezeichnen. Denn Leichtgläubigkeit bedeutet, Dinge als wahr zu akzeptieren, die der eigenen WEG-Basis widersprechen, ohne dafür angemessene Beweise oder Argumente zu verlangen. Wer im obigen Beispiel mit dem Haus einfach glaubt, dass dort Außerirdische einziehen, den würden wir als naiv und leichtgläubig bezeichnen.

Wobei Widerspruch alleine nicht ausreicht, zusätzlich kommt noch die Wahrscheinlichkeit hinzu. Wir sind eher bereit, Informationen geringer Wahrscheinlichkeit zurückzuweisen. Die Wahrscheinlichkeit wird wiederum subjektiv bewertet, ausgehend von der vorhandenen Wissenbasis. Und wir weisen auch eher Dinge zurück, die gegen emotional hoch bewertetes Wissen verstoßen.

Allerdings: Wer ohnehin davon überzeugt ist, dass gerade eine Invasion Außerirdischer vom Sirius im Gange ist, der wird die Behauptung akzeptieren – und wir können ihr oder ihm nicht unbedingt Leichtgläubigkeit attestieren, außer bei der Annahme der Sirius-Invasionsgeschichte zu Beginn.

 

Konversion und Korruption

Wie kann man nun einem Menschen beibringen, dass eine Invasion vom Sirius im Gange ist? In dem man seine WEG-Basis korrumpiert. Dabei ist es nicht einfach, widersprechende Informationen in die WEG-Basis einzuschleusen. Ein gewisses Maß an Widersprüchen existiert bei jedem, aber neue Widersprüche werden meist leicht zurückgewiesen. Wenn die WEG-Basis noch relativ leer ist, ist es natürlich einfach, korrupte Informationen dort einzuschleusen – da ist noch wenig Potenzial für Widersprüche. Sprich, Kinder glauben deswegen leichter (sind aber deswegen nicht unbedingt leichtgläubiger), weil ihnen die Basis fehlt, um neues Wissen als widersprüchlich und/oder unwahrscheinlich zu entlarven. Wenn also ein Erwachsener korrupte Informationen bei Kindern einschleust, so werden diese, später unwahrscheinliche Dinge, leichter glauben, und diese Kinder werden zukünftig als Erwachsene wiederum korruptes Wissen weitergeben etc. Das nennt man ein sich selbst-korrumpierendes System. Besonders leicht geschieht dies über emotionale Besetzungen – Widerspruch in emotional wichtigen Dingen ist schwerer zu akzeptieren als in emotional gering bewerteten Dingen.

Korrupte Informationen sind falsche Informationen oder falsche Gründe, die für die Richtigkeit von Informationen (scheinbar) sprechen. Wenn beispielsweise behauptet wird, dass Märtyrer die Wahrheit einer Religion bezeugen, so ist dies ein falscher Grund zur Bewertung des Wahrheitsgehalts einer Religion, denn dies ist aus logischen Gründen unakzeptabel.

Bei Erwachsenen ist die Korruption der WEG-Basis sehr viel schwieriger, aber es gibt dazu ein ganzes Arsenal an Möglichkeiten, von korrumpierenden Argumenten bis hin zur Gehirnwäsche gibt es die volle Bandbreite. Korrumpierende Argumente sind z. B. Ultra-skeptische Argumente, mit denen die Integrität der WEG-Basis selbst angezweifelt wird. Wenn man die WEG-Basis zum Schrumpfen bringt, in dem man vorhandenes Wissen »wegerklärt«, und/oder die emotionale Wertigkeit absenkt, dann kann man neues Wissen einschleusen, weil die Basis für Widerspruch geschrumpft ist. Werdet wie die Kinder, wie Jesus bereits empfiehlt ... denn Kinder haben eine kleine, leicht zu korrumpierende Basis.

Besonders gut funktioniert dies in emotionalen Krisen, wo man meist sowieso mit einer »Umwertung aller Werte« (Emotionen sind Bewertungen) beschäftigt ist. Dann ist die Basis des »emotionalen Widerspruchs« geschrumpft. Bei rein intellektuell orientierten Menschen ist das schwieriger, aber dafür hat man den Ultra-Skeptizismus. Der kann wie ein Virus die vorhandene Wissenbasis »zerfressen« (welchem Wissen kann man denn noch trauen?). Und intellektuell orientierte Menschen sind mit emotionalen Dingen leichter zu »kriegen«.

 

Schlussfolgerung

Anders gesagt: Die Mehrheit der Gläubigen sind nicht leichtgläubiger als Nichtgläubige auch. Aber ihre WEG-Basis ist eine andere, folglich können sie bestimmte Dinge leicht akzeptieren, die einem Ungläubigen schwerfallen und umgekehrt. Und es gibt unter Gläubigen wie Nichtgläubigen vermutlich eine eher gleiche Verteilung der Leichtgläubigkeit. Und die Basis selbst hat ein gewisses »Beharrungsvermögen«, was uns »resistent« gegen die Annahme »fremden« Wissens macht. Als Balance dagegen steht z. B. die Neu-Gier, d. h. das Streben nach neuem Wissen. Mit dem Untergraben der WEG-Basis und dem Erhöhen der Neugier macht man die Menschen aufnahmefähiger für Neues, danach, wenn die Basis umstrukturiert wurde, senkt man die Neugier und macht die Menschen zusätzlich unempfindlich gegen Änderungen. Z. B. in dem man Zweifel emotional negativ bewertet, damit wird die Offenheit für neue Informationen untergraben (interessanterweise wird dadurch die Leichtgläubigkeit sogar vermindert).

Daher ist die Auffassung, Gläubige seien »leichtgläubiger« als Nichtgläubige, zurückzuweisen.

Begründung: Weil Gläubige aufgrund ihrer WEG-Basis nicht viel anders verfahren als Ungläubige auch.

Das bedeutet, dass Glauben und Unglauben auf demselben Prinzip beruhen. Anders gesagt, vor allem Glauben steht die Abschätzung der emotionalen Bewertungen, der Wahrscheinlichkeiten und ob das Behauptete einen Bezug zu unserer Erfahrung hat. Allerdings hat man den Gläubigen ausgetrickst, in dem man ihm unbewiesene Sätze von hoher Emotionalität in seine WEG-Basis geschmuggelt hat (meist über die Erziehung). Man muss nämlich, bevor man überhaupt anfangen kann, zu glauben, nach Bayes Theorem den Glauben selbst bewertet haben. Diese Bewertung selbst ist rationaler Analyse zugänglich, Glauben scheint häufig nur deswegen akzeptabel, weil diese Analyse unterblieben ist. Oder die Ergebnisse einer solchen Analyse wurden in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert. Wenn man aber Bayes Theorem ablehnt, dann hat die Annahme des Glaubens selbst keine Grundlage mehr. Ohne eine Grundlage aber kommt man dazu, falsche Dinge zu akzeptieren. Denn Bayes Theorem hat sich in unserer Wahrnehmung bewährt, verwirft man, verwirft man alle seine Wahrnehmung, folglich muss man auch den Glauben verwerfen, denn dann kann man nichts  mehr glauben.

Geglaubt wird meist nicht, weil man die Gründe, die für und wider den Glauben sprechen, gegeneinander abgewogen hat – die Gründe, die gegen den Glauben sprechen, kennen die meisten Gläubigen überhaupt nicht bzw. in verzerrter Form  _1_. Aber gerade das Abwägen der Gründe ist Vernunft in Aktion, sofern es nicht einseitig ist. Und dies muss man tun, bevor man eine Entscheidung trifft, sonst neigt man dazu, seine bereits getroffene Entscheidung nur einfach zu bestätigen (eine menschliche Schwäche).

Daraus folgt ein Primat der Vernunft  und des Prinzips der kritischen Prüfung. Glauben kann sich nicht selbst begründen. Das ist seine große Schwachstelle, die zwar getarnt ist, aber dennoch hier gegen ihn verwandt wird. Denn es gibt viele verschiedene Glaubensrichtungen, wie kann ich entscheiden, welcher Glauben richtig ist? Auch nur durch vernünftiges Abwägen. Und auch daraus folgt dass Primat der Vernunft. Auch der Glauben muss sich der Vernunft stellen. Stellen die Gläubigen die Vernunft infrage, zerstören sie ihre eigene Basis. Ablehnen der Vernunft bedeutet, keine Entscheidung getroffen zu haben, d. h., man weiß nicht, warum man eigentlich glaubt. Wenn man denkt, man glaubt, weil man eine Entscheidung getroffen hat, so ist dies (schon aus statistischen Gründen, die überwiegende Mehrheit der Menschen hat den Glauben der Eltern oder der Umwelt »einfach so« übernommen) eine Täuschung – was bedeutet, die Grundlage des Glaubens basiert bereits auf einer Täuschung!

Lesen Sie weiter: Suche in der Dunkelheit – Güte der Begründung

Literaturhinweise: Interessant sind einerseits die biologischen Grundlagen des Glaubens, siehe [Giovannoli 2000]. Die Frage, warum wir verrückte Dinge glauben, ist hier recht gut beschrieben: [Shermer 2002]. Wenn es speziell um Gott geht, ist hier ein guter Überblick: [Shermer 2000].

Wie sich der Glauben an Gott entwickelt hat, ist neuerdings eine Forschungsfrage geworden. Exzellent die Pionierarbeit von Pascal Boyer, siehe [Boyer 2009], und Scott Atran, siehe [Atran 2004].

Eine sehr gute Website zu den Forschungen zur Religion ist →Epiphenom – The Science of Religion and Non-Belief.

»Das Schöne an der religiösen Manie ist, dass sie die Macht hat, alles zu erklären. Wenn Gott (oder Satan) erst einmal als die erste Ursache für alles akzeptiert wird, was in der sterblichen Welt geschieht, ist nichts mehr dem Zufall überlassen ... die Logik kann glücklich aus dem Fenster geworfen werden. (Stephen King

1. Der umgedrehte Vorwurf trifft übrigens oft auch Atheisten, die nicht wissen, welche Gründe es für den Glauben gibt. Alle Gründe für und wider eine Sache kann natürlich kein Mensch wissen, aber wenigstens die grundlegenden Begründungen sollte man schon kennen – andernfalls hat man keine echte Entscheidung getroffen. Es gibt auch Atheisten, die nie eine Abwägung vorgenommen haben. Zurück zu 1


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