Letzte Aktualisierung der Seiten: 24.04.2019


Inhaltsverzeichnis:


      Eine Leseprobe aus meinem Buch
         Teil IX: Gott

 

Eine Leseprobe aus meinem Buch

Hier erhalten Sie einen kleinen Einblick in mein Werk. Den Anfang macht das Kapitel über Gott, das ich hier auszugsweise veröffentliche.

 

Teil IX: Gott

»Ist Gott ein Atheist? Wenn nicht, wer schuf ihn? Und wenn er es ist, warum sollte ich nicht in seinem Unglauben mit ihm übereinstimmen? (John Nicholson)«

Warum glauben die meisten Menschen an Gott? Lassen wir einmal die evolutionären Gesichtspunkte außer Acht, das hat Pascal Boyer in »Und Mensch schuf Gott« [Boyer 2009] bereits beschrieben, und darauf aufbauend Daniel Dennet in »Den Bann brechen - Religion als natürliches Phänomen« [Dennett 2016]. Eine anthropologische Deutung trägt beispielsweise Marcel Dobberstein in [Dobberstein 2007] bei. Auch die neurobiologischen Grundlagen interessieren mich hier weniger, dazu siehe beispielsweise [Newberg 2003], oder das Gebiet, das sich »Neurotheologie« nennt, beispielsweise [Blume 2009] oder [Vaas 2009]. Die meisten Menschen glauben an Gott, weil man ihnen gesagt hat, das Gott existiert _1_. Speziell Kinder neigen dazu, ihren Eltern in dieser Hinsicht zu glauben und zu vertrauen. Damit ist der Gottesglauben bereits angelegt. Später kommen manchmal  noch andere Argumente dazu. Wenn man erst mal an Gott glaubt, führt kaum ein Weg zurück, denn, so wird behauptet, die Existenz Gottes kann man nicht widerlegen. Das gehört zum Glauben an Gott dazu, ist aber auch falsch, es stimmt nur für ganz bestimmte Arten von Göttern – es trifft für den christlichen Gott nicht zu.

Das gilt übrigens auch oft für Atheisten: Ein Freund von mir glaubte nicht an Gott, weil ihm seine Eltern das erzählt haben. Dafür kann man ihn so wenig verurteilen wie die Gläubigen, die aus demselben Grund genau das Gegenteil glauben. Natürlich halten es Gottgläubige für schlecht, wenn jemand den Kindern erzählt, dass es keinen Gott gibt. Aber wie schön, dass es noch Leute gibt, die den Kindern das Gegenteil erzählen, nämlich, dass es einen Gott gibt. Weil Kinder nun einmal leichter glauben, was man ihnen sagt. Vielleicht sagte Jesus deswegen, dass man wie ein Kind werden muss, um zu glauben. Kinder sind noch bereit, alles zu glauben. Das ist für Theologen sehr praktisch, weil sie sich mit einem 500-Pfund-Gorilla mit den Muskeln atheistischer Argumente nur ungern auseinandersetzen möchten. Aber wissen Sie was: Wohin setzt sich ein 500-Pfund-Gorilla? Natürlich dahin, wo immer er auch will! Ich glaube, das war es, was man Dawkins besonders übel genommen hat. Der hat sich sogar an die Spitze der Bestsellerliste gesetzt, und das steht einem Atheisten nun überhaupt nicht zu.

Natürlich gibt es evolutionäre und somit auch biologische Grundlagen für den Glauben an Gott oder »höhere Mächte«. Diese begünstigen, was uns unsere Eltern erzählen. Aber wir sind unserer Biologie nicht soweit ausgeliefert, dass wir nun dazu verurteilt sind, an den einen christlichen oder islamischen Gott zu glauben. Es macht eine rationale Gegenargumentation nur um einiges schwieriger. Das wird natürlich zusätzlich ausgenutzt, um den Glauben aufrecht zu erhalten. Aber der Gott der wenigen Menschen, die tiefe und mystische Erlebnisse haben, ist nicht der Gott der breiten Masse der Gläubigen. Sondern dabei handelt es sich eher um östlich-mystische Aspekte einer als unfassbar geltenden Wirklichkeit, die eher zu einem Pantheismus führt. Deswegen wurden die christlichen Mystiker in der Kirche auch immer sehr misstrauisch beäugt: Sie wurden entweder verketzert oder zum Schweigen verdammt. Und zwar deswegen, weil sie aus eigener Anschauung ja etwas hätten sagen können, was dem widerspricht, was die Kirche sagt.

Aber auch hier gilt: Die Realität lässt sich durch eine nach innen gerichtete Schau und durch reines Denken nun nicht einmal erfassen und muss so mystisch und unzugänglich bleiben. Die Geschichte der Welt ist voll von Irrtümern von Leuten, die nur über ihr eigenes Denken nachgedacht haben und dabei meinten, die Welt zu erforschen. Es gibt dazu ein Alexander von Humboldt zugeschriebenes Zitat: »Die gefährlichste Weltanschauung ist die Weltanschauung derer, die sich die Welt nie angeschaut haben(*FN* Woher das Zitat wirklich stammt, ist nicht ganz klar – es wird immer ohne Quellenangabe zitiert. Alexander von Humboldt soll es im Zusammenhang über Hegel geäußert haben, der meinte, vom Lehnstuhl aus durch reines Nachdenken die innersten Beweggründe der Welt erforscht zu haben. Warum das nicht funktionieren kann, kann man mit dem Münchhausen-Trilemma erklären. Man könnte auch sagen: Es ist die Weltanschauung von Leuten, die immer ihr Denken zu früh abgebrochen haben und/oder deren Denken sich im Kreis dreht. In der Vorrede zu seinem Buch "Kosmos" sagte Alexander von Humboldt: "Ich war durch den Umgang mit hochbegabten Männern früh zu der Einsicht gelangt, daß ohne den ernsten Hang nach der Kenntniß des Einzelnen alle große und allgemeine Weltanschauung nur ein Luftgebilde sein könne". Siehe auch [104].*FN*)«.

Es gibt dann noch ein Argument dafür, dass Gott eben nicht widerlegbar ist oder der »menschlichen Logik« nicht unterliegt, oder mit der Wissenschaft eben nicht erfasst werden kann. Das Argument hat mich sehr lange beeindruckt, das muss ich zugeben:

Gott ist kein Ding dieser Welt. Denn er hat die Welt ja erschaffen, er kann also kein Teil von ihr sein. Und daher unterliegt er weder ihren Gesetzen, die man mit der Wissenschaft erfassen kann, noch der Logik.

Jetzt verstehen Sie vielleicht, warum ich erst das Kapitel über Naturalismus und Supernaturalismus gebraucht habe. Denn da habe ich die Behauptung, dass Gott »kein Ding dieser Welt« sei widerlegt: Gott ist ein Gebilde des reinen Denkens, eine Idee. Ober er mehr als bloß eine Idee ist, könnte man erkennen, wenn er in die Welt eingreift und hier wirkt. Sobald Gott in die Welt eingreift, macht er sich automatisch zu einem Ding dieser Welt. Das obige Argument gilt nur für Götter, die niemals in diese Welt eingreifen. Aber der jüdische, christliche und islamische Gott greift in diese Welt ein. Nicht nur dadurch, dass er sie erschafft, sondern auch durch Offenbarung, Wunder und Gebetserhörung. Und der christliche Gott muss sogar ganz massiv eingreifen: Er inkarniert sich in Jesus, ist also Teil der menschlichen Geschichte.

Über das, was »kein Ding dieser Welt« ist, kann man nichts wissen. Weder, ob es existiert, noch, ob es nicht existiert. Das impliziert einen starken Agnostizismus. Aber das ist nicht der Gott der Gläubigen. Angeblich soll er ja nach dem Tode Menschen zu sich holen, auch dazu muss er in die Welt eingreifen.

Es herrscht also eine gewisse gemachte Konfusion in den Köpfen der Menschen: Einen Gott, der nicht eingreift, kann nicht widerlegt werden. Man kann nur leider auch nichts über ihn wissen. Alles, was man sagt, kann weder für noch gegen ihn verwendet werden. An einen solchen Gott könnte man glauben, nur ist das leider ziemlich sinnlos. Denn was hat man davon, wenn dieser Gott nichts für einen tun kann? Aber einen Gott, der eingreift, den kann man erkennen.

Gott hat also zwei Gesichter: das eine, unerkennbar, unwiderlegbar. Das führt in Konsequenz zu einem starken Agnostizismus. Und das andere, das des eingreifenden, handelnden, helfenden Gottes. Dieser wäre erkennbar – und damit auch widerlegbar. Und je nachdem, was der Atheist gerade sagt, wird mal die eine Seite Gottes zu ihm gedreht und mal die andere. Dabei schließen sich beide absolut gegenseitig aus! Gott kann nicht beides gleichzeitig sein. Es sei denn, man denkt sich zusätzlich noch, dass Gott ja irgendwie nicht der Logik unterliegt. Das wäre der unerkennbare Gott. Der Gott, über den man nichts wissen kann – nicht einmal, ob er existiert. Aber wenn das auch für den anderen Gott gilt, den eigentlichen Gott des Glaubens – dann wäre dieser von reinem Zufall und totaler Willkür nicht zu unterscheiden, weil für ihn ja noch nicht einmal die Regeln der Logik gelten.

Ich kann mir nicht helfen, aber nachdem ich das entdeckt hatte, habe ich mich irgendwie »ausgetrickst« gefühlt. Ich habe an Gott geglaubt – weil man es mir so gesagt hat. Ich habe daran geglaubt, dass Gott unerkennbar ist und kein Ding dieser Welt – weil man es mir so gesagt hat. Ich habe geglaubt, dass Gott eingreift und in der Welt handelt – weil man es mir so gesagt hat. Ich habe geglaubt, dass der unerkennbare und der eingreifende Gott ein und derselbe sind – weil man es mir so gesagt hat. Und jetzt aber bin ich Atheist, weil ich es so sage. Selbst die Monotheisten glauben also an zwei ganz verschiedene Götter gleichzeitig, sie denken nur, dass es sich um ein und denselben Gott handelt. Man schaut bei Gott nicht so genau hin. Deswegen scheint man nur einen Gott zu sehen, wo eigentlich mindestens zwei sind. Der Gott des Glaubens, der in der Welt handelt und eingreift, in dem er sie erschafft, in dem er sich offenbart, in Jesus inkarniert, Gebete erhört, oder Wunder tut, oder dem Leben einen Sinn gibt, den Lauf der Welt unterstützt oder lenkt. Und der Gott der reinen Philosophie, der Gott der Intellektuellen, sozusagen. Und letzterer wird dazu benützt, Ersteren zu tarnen, wenn mal jemand nachfragt.

Und das, der Glauben an die zwei grundverschiedenen Götter, das zieht sich durch die monotheistische Debatte wie ein roter Faden. Ich nenne diese beiden Götter den »Gott des Intellekts« oder kurz Kopfgott – das ist der Unerkennbare, wenn man so will, der Gott der Agnostiker – und den »Gott des Glaubens« oder kurz Bauchgott. Letztere ist der, der verehrt wird, es ist sozusagen der »Gott für den Bauch«. Der »Gott für den Kopf« hingegen ist spröde, unnahbar und irgendwie ziemlich fern. Und jetzt kann man sich auch erklären, warum Debatten über Gott oft so sinnlos verlaufen: Ich weiß ja nie, über welchen Gott ich gerade spreche. Ist es der Kopfgott oder der Bauchgott? Rede ich über den Kopfgott, redet der andere von seinem Bauch, und umgekehrt. So kommt man nie zusammen. Das ist der Grund, warum abgeraten wird, sich bei Tisch über Gott zu unterhalten. Der Streit, was nun gemeint ist, ist sowohl vorprogrammiert als auch unappetitlich. Dem Atheisten kann man nun keinen Vorwurf machen, woher soll er denn wissen, dass der eine Gott, von dem alle immer sagen, es sei einer, in Wahrheit zwei völlig verschiedene Götter sind? Pech gehabt, es ist immer der, von dem der Atheist gerade nicht redet. Gott ist immer der ganz Andere – jetzt weiß man vielleicht auch als Atheist, was damit gemeint sein könnte ...

Den Gläubigen kann man aber auch keinen Vorwurf machen – die meisten wissen das schlicht nicht. Sie denken mit dem Kopf an Gott, aber sie handeln nach dem Bauchgefühl. Und das dominiert dann auch meist die Diskussionen, ein weiterer Grund, warum es so oft zum Streit kommt. Und als Atheist beißt man entweder auf Granit oder hat das Gefühl, dass man gerade versucht, einen Pudding an die Wand zu nageln. Und der Gläubige freut sich, dass dem Atheisten das Argumentieren so schwer fällt – beweist es doch, dass man es ohne Gott viel schwerer hat.

Dies ist nur der Anfang des Kapitels. Lesen Sie weiter im Buch.


1. Das erklärt nicht, wie der Glauben an Gott ursprünglich entstanden ist. Wenn A etwas von B hört, und B von C usw., dann ist damit nicht erklärt, woher das Gehörte eigentlich stammt. Zurück zu 1


Zurück zum Anfang