Eine humanistische Ethik setzt den Menschen in das Zentrum, eine göttliche den Priester.
Inhaltsverzeichnis:

      Es gibt nicht »die« Moral
      Universelle moralische Konstanten
      Die Moral, der wir folgen
      Religiöse Moral ist nicht immer das, was sie zu sein scheint

 

Es gibt nicht »die« Moral

Bevor wir uns der religiösen Moral zuwenden, muss ich eine paar Vorbemerkungen dazu allgemein machen. Es gibt nämlich keineswegs nur eine Moral, es gibt verschiedene Arten der ethischen Handlungen und der Handlungsbewertung.

 

Universelle moralische Konstanten

Es gibt sog. universelle moralische Konstanten. Das sind moralische Vorstellungen, die jeder Mensch für richtig hält, gleichgültig, ob er als Indianer im Amazonas, als weißer Professor in einer amerikanischen Großstadt, als Bauer in China oder als Aborigine in Australien lebt.

Beispiel: Der folgenden moralischen Behauptung werden überall, zu praktisch allen Zeiten, nahezu alle Menschen uneingeschränkt zustimmen: Es ist immer und unter allen Umständen für alle Personen falsch, kleine Kinder zu ihrem Vergnügen zu foltern und zu töten.

Das bedeutet nicht, dass es ein solches Verbrechen nie gegeben hat. Es besagt nur, dass die absolute Mehrheit der Erwachsenen diesem Satz beipflichten werden.

Besonders interessant ist es, dass es eine universelle Moral gibt, der die meisten Menschen aber nicht folgen. So gilt in nahezu allen Kulturen Klatsch und Tratsch als schlecht – aber gleichzeitig wird dies in fast allen Gesellschaften ausgiebig betrieben!

Siehe dazu auch: [Pinker 2003b]

Wir haben also neben einer Moral, der wir zustimmen, noch eine zweite Moral:

 

Die Moral, der wir folgen

Das ist die individuelle  Moral, der ein jeder tatsächlich folgt.

Im Grunde genommen muss man unterscheiden zwischen:

  1. Die Moral, der man zustimmt, die man für richtig hält.
  2. Die Moral, von der man meint, sie sei für die Gesellschaft (also für alle) richtig.
  3. Die Moral, von der man meint, dass sie die Mehrheit aller Mitglieder der Gemeinschaft für allgemein richtig hält.
  4. die Moral, von der man meint, dass die anderen ihr mehrheitlich tatsächlich folgen.
  5. die Moral, der man selbst folgt.
  6. Und dann ist da noch das, was wir als »religiöse Moral« bezeichnen. Allerdings ist diese identisch mit der Moral 2.

Ja, die Moral, die man allgemein (für alle anderen) für korrekt hält, muss nicht identisch sein mit der, der man selbst folgt. Ein Beispiel:

Wenn man in den USA Christen darüber befragt, ob Scheidung erlaubt sein sollte bzw. ob es richtig ist, seine Ehe scheiden zu lassen, dann werden die meisten das verneinen. Befragt man hingegen Atheisten, so fällt das Ergebnis ganz andere aus. Die Mehrheit der Atheisten sind pro Scheidung. Betrachtet man aber die tatsächlichen Scheidungsraten, so sieht das Ergebnis so aus:

Evangelische Christen haben eine Scheidungsrate von 33 %, Atheisten eine von 30 %.

Quelle: →New Marriage and Divorce Statistics Released

Das bedeutet auch, dass man Umfragen, wie man sich verhalten sollte, nicht damit verwechseln darf, wie sich die Leute auch wirklich verhalten! Das ist ein in der Psychologie altbekanntes Problem. Das führt dazu, dass Klatsch allgemein abgelehnt wird, aber auch allgemein praktiziert wird. Übrigens ist diese Kombination von Ablehnung und Praktizierung in nahezu allen menschlichen Kulturen allgegenwärtig. Es bedeutet: Wir tun nicht immer, was wir für richtig halten, und haben meist nicht die geringste Ahnung, warum das so ist!

 

Religiöse Moral ist nicht immer das, was sie zu sein scheint

Nur weil Christen die »familiären Werte« für besonders gut halten und gegen Scheidung sind bedeutet dies noch lange nicht, dass sie sich auch entsprechend verhalten.

Tatsächlich ist eines der Ergebnisse - dazu kann man xl(www.barna.org|Barna Research) studieren - dass beim Verhalten sich nur schwer bedeutsame Unterschiede zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen finden lassen. Das entspricht nicht dem, was in den Religionen behauptet wird. Auch wenn die Ergebnisse aus den USA sind, es sieht in Europa nicht viel anders aus. Weltweit kann man u. a. feststellen, dass beispielsweise Länder umso friedlicher sind, je höher der Anteil an Atheisten ist. Siehe auch →Atheist nations are more peaceful. Das ist nicht das, was man erwartet, wenn einem ein Leben lang erzählt wird, dass wahrer Frieden nur aus der Religion kommt, nicht wahr?

Der Zusammenhang zwischen Ansichten über Moral und Verhalten ist nicht so einfach. Das hängt u. a. damit zusammen, dass es einen Unterschied gibt zwischen der Moral, die man sich für alle (anderen) wünscht, und der, der man folgt. Meist wird das eigene moralische Benehmen in einem positiveren Licht gesehen als angemessen wäre, und das der anderen sieht man negativer, als es ausfällt. Das gilt auch für Gruppen, denen man angehört.

Die Bedeutung der religiösen Moral  ergibt sich oft daraus, dass man hofft, damit einen guten Grund gefunden zu haben, andere zu einem guten Verhalten veranlassen zu können. In den meisten Fällen funktioniert das nicht. Offensichtlich macht auch die hochgeschätzte (und hoch überschätzte) Bergpredigt ein friedliches Zusammenleben nicht einfacher.

Ich traue Leuten nicht, die so genau wissen, was Gott will, weil es so sehr mit ihren eigenen Wünschen übereinstimmt

Unbekannt


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